Ökologisch bauen: Von wegen alternativ

Holz, Lehm und Co sind die wahren konventionellen Baustoffe. Ihre Renaissance hat gerade erst begonnen.

Mareiner: Die Bauindustrie hat enormen Appe­­tit: „Sie verschlingt fast ein Drittel unserer Ressourcen und produziert an die 40 % unseres jährlichen Abfalls“, rechnet Universitätsprofessorin Andrea Rieger-Jandl von der Abteilung Baugeschichte und Bauforschung an der Technischen Universität Wien vor. Damit nicht genug, beansprucht bereits die Herstellung von Zement und Beton, Aluminium und Stahl sowie Glas und Ziegeln enorme Mengen an Energie. Und die damit errichteten Gebäude sind laut Rieger-Jandl auch noch für 40 % unseres Gesamtenergieverbrauchs verantwortlich – eine verheerende Bilanz. Während die Baubranche mit großer Verspätung gerade das Recycling entdeckt, ist dringend alternatives Baumaterial nachhaltigen Charakters gefragt, das weniger Ressourcen und Energie verzehrt.

Toyotas autofreie Öko-Stadt

Im Städtebau findet es schon zunehmend Verwendung: Ausgerechnet der Automobilkonzern Toyota verwandelt ein Werksgelände in Japan nach den Plänen des dänischen Architekten Bjarke Ingels zur autofreien „Woven City“ für 2.000 Bewohner. Auf den Renderings sieht man terrassenartig angeordnete Holzbauten mit großen Fensterfronten, zahlreichen Beeten für das Vertical Gardening sowie Miniaturwälder auf den Dächern. Bewährt sich das Siedlungsmodell, soll es seriell gebaut werden.

Angesichts der emsigen Forschung und Entwicklung steht fest, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zahlreiche neue nachhaltige Baustoffe auf den Markt kommen werden. Um ökologisch zu bauen, braucht man darauf allerdings nicht zu warten: Die Alternativen gibt es bereits. Und das schon seit Tausenden von Jahren, sodass es eigentlich verkehrt wirkt, Beton und Co als „konventionelle“ Baustoffe zu bezeichnen.

Schon täuschend echt, aber erst ein Rendering: Die „Woven City“ für Toyota von Architekt Bjarke Ingels und seinem Team. © Fotocredit

Grüne Kostenwahrheit

Schließlich waren die Baukonventionen der Menschheit bis ins 20. Jahrhundert hinein ökologisch überwiegend hochkorrekt. Nicht zuletzt deshalb, weil die verwendeten Baustoffe wirtschaftlich, im Regelfall nachwachsend und lokal verfügbar waren: der Universalbaustoff Holz, der fast ebenso universelle Lehm; dann Stroh als Bau- wie Dämmstoff. Des weiteren Hanf, Flachs und Schafwolle als Dämmmaterial, Schilfrohr als Dachbelag und – etwas moderner – Wachspapier als Alternative zu Dampfsperren aus Kunststoff. Auf Dampfsperren überhaupt verzichten kann man, wenn man richtig verlegte Dachziegel verwendet – auch wenn deren Herstellung energieintensiv ist.

Gegen Beton und Co in die Waagschale geworfen, neigt sich das Pendel insgesamt in Richtung Biobaustoffe: Den Nachteil geringfügig schlechterer Dämmleistungen machen sie durch die insgesamt bessere Gesamtenergiebilanz und ihre CO2-Speicherkapazität wett. Sowie durch ihre Fähigkeit, das Raumklima zu regulieren und es durch weitgehende Schadstofffreiheit behaglich zu gestalten. Dazu kommt ihr Vermögen, auch in feuchtem Zustand nichts an Dämmleistung einzubüßen.

Der größte Minuspunkt ist finanzieller Natur: Vollbiologisches Bauen kommt um fünf bis zehn Prozent teurer als konventionelles. Das kann – und muss sich – durch eine Ökologisierung der Wohnbauförderung sowie durch ökologische Kostenwahrheit bei den Baustoffpreisen ändern: Kommt es zur bereits diskutierten Kohlenstoffsteuer, schaut Beton im Vergleich zu Holz schnell ziemlich alt aus.
Ganz ohne Beton geht es allerdings auch im Ökobau noch nicht, da es noch an einer grünen Materialvariante fürs Fundamentieren fehlt. Auch das in Sachen Herstellung energiehungrige Glas wird sich nicht so schnell ersetzen lassen.

Museumsdorf Niedernsulz

Der dämmungsfreie Thoma

Außer Streit steht die Unersetzbarkeit von Holz, über das man als Inbegriff der Nachhaltigkeit und Vielseitigkeit eigentlich nichts mehr sagen muss. Vielleicht nur noch, dass es in Form von Holzwolle auch einen guten Dämmstoff darstellt und zu Schindeln verarbeitet einen hochwertigen Dachbelag abgibt. Wie die Bauten von Erwin Thoma aus Goldegg zeigen, kann man im Holzbau sogar gänzlich auf Dämmstoffe verzichten, solange man das richtig geschlägerte Holz in verschiedenen Verarbeitungsformen zu mehrschichtigen Wandkonstruktionen zu kombinieren weiß.
Die günstigere Alternative dazu sind Holzwandkonstruktionen mit einem dämmenden Kern aus Strohballen; die Wände kann man dann wahlweise mit Holzpaneelen verkleiden oder verputzen lassen. Zum Beispiel mit Lehm, von dem noch die Rede sein wird.

Häuser aus Stroh, Paulownia und Schilf

Strohballen taugen aber zu mehr als nur zum Dämmen: „Stroh ist auch ein wandbildender Baustoff“, sagt der deutsche Architekt Tilman Schäberle, der mit seiner Partnerin Susanne Körner, die als Architektin ebenfalls vom Fach ist, den gemeinsamen Wohnsitz im hessischen Bad König aus einer Holztragkonstruktion und 750 Ballen Stroh zum Stückpreis von 1 Euro gebaut hat – günstigeres Baumaterial wird man schwer finden. Ähnlich geschont wie das Baukonto blieb das Klima: Stroh fällt als landwirtschaftliches Nebenprodukt an und beansprucht in der Herstellung bloß etwas Traktor- und Arbeitsleistung. Und das Brandrisiko? Ist so wie bei Holz im Einfamilienhausbau nicht höher als das der sogenannten konventionellen Baustoffe.

Ähnliches Aufsehen wie der Bau von Schäberle und Körner erregte die experimentelle „Workbox“, die letztes Jahr als Ergebnis eines EU-geförderten Forschungsprojekts der Universität Bonn, der Alanus Hochschule und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Meckenheim fertiggestellt wurde. Die gebaute Realität gewordene Bachelorarbeit von Julian Weber und Raphael Reichert hat etwas über 20 m2 Grundfläche. Das gesamte Holz für Konstruktion, Böden, Verkleidungen und Innenausbau hat der rasant wachsende Blauglockenbaum Paulownia gestiftet. Der Wärmeschutz des Hausprototyps ist wie der Dämmputz und die Wandverkleidungen aus Riesenchinaschilf gemacht, das sich durch Turbowachstum und große Genügsamkeit auszeichnet.

In statischer Hinsicht verfügt Lehm bewiesenermaßen über Stärken, denn wie gebaute Beispiele zeigen, kann eine Kombination von Holz, Stroh und Lehm auch im mehrgeschoßigen Wohnbau problemlos eingesetzt werden.
Andrea Rieger-Jandl, TU Wien

Schneller Hanf, bewährter Lehm

Während Paulownia und Riesenchinaschilf in unseren Breiten noch halbwegs exotische Baustoffe sind, beginnt der Hanf als des Menschen älteste Kulturpflanze wieder an Terrain in unserem Alltag zu gewinnen. Im Bauwesen als erstklassiger Dämmstoff, der neben seinen guten baubiologischen Eigenschaften (Luftfeuchtigkeitsregulation!) auch dicke Öko-Pluspunkte mitbringt: Hanf bindet bereits im Anbau mehr CO2 als seine Ernte und Verarbeitung freisetzen, verbessert mit seinen 1,5 m langen Wurzeln die Bodenqualität und wächst mit bis zu 4 cm am Tag – ohne Bodendünger! – schnell genug, um alles Unkraut chemiefrei rein durch Beschattung in Schach zu halten.

Eine Renaissance wie die des Hanfs, der bereits im großen Stil zu grünem Dämmmaterial verarbeitet wird, steht dem Lehm noch bevor. Das Interesse an Lehmputz steigt wieder, sorgt er in Innenräumen doch für eine ausgeglichene Luftfeuchtigkeit im Bereich von 50 % – und damit für ein gesundes Raumklima. „Vor allem in Verbindung mit Holzleichtbau-Konstruktionen kommt der Speicherfähigkeit des Lehms eine bauphysikalisch herausragende Bedeutung zu“, weiß Andrea Rieger-Jandl von der TU Wien, „und auch in statischer Hinsicht verfügt Lehm bewiesenermaßen über Stärken, denn wie gebaute Beispiele zeigen, kann eine Kombination von Holz, Stroh und Lehm auch im mehrgeschoßigen Wohnbau problemlos eingesetzt werden.“

Eine Bautechnik, auf die sich in den letzten Jahren der aus Vorarlberg stammende Architekt Andi Breuss spezialisiert hat. Sein Fachkollege Hubert Feiglstorfer wiederum engagiert sich an der Wiener Universität für Bodenkultur in der Arbeitsgemeinschaft Lehmbau für die vor allem in Ostösterreich geschichtsträchtige Bauweise. Mit dem Ziel, nicht nur die zahlreichen historischen Lehmbauten als kulturelles Erbe Österreichs etwa im Weinviertel zu erhalten, sondern auch neue Lehmbauprojekte auf den Weg zu bringen – zum Wohl des Klimas und ihrer künftigen Bewohner.

Einer von Europas führenden Spezialisten für modernen Lehmbau kommt aus Österreich: Martin Rauch hat mit seinem Büro Lehm-Ton-Erde – das zugleich auch ausführendes Lehmbauunternehmen ist – in den vergangenen 30 Jahren zahlreiche wegweisende Lehmbauprojekte realisiert. Das Portfolio seines Teams umfasst Wohnhäuser sowie öffentliche, Sakral- und Gewerbebauten. Auf Rauchs Lehmbaukonto gehen etwa das Kräuterzentrum der Schweizer Ricola AG, der Alnatura Campus in Darmstadt, der Altarraum im Dom zu Worms, das Kardinal-Schwarzenberg-Haus in Salzburg wie auch große klimaregulierende Wandflächen im Krankenhaus Feldkirch oder im Kongresszentrum Alpbach.

Den Lehmbau rationalisieren

Für die Umsetzung hat Rauch ein maschinelles Lehmstampfverfahren entwickelt, das bisher mithilfe einer rollenden Maschinenstraße direkt auf der Baustelle eingesetzt worden ist. Um den Lehmbau aus der handwerklichen Ecke zu holen, hat der Lehmbauspezialist in seinem Vorarlberger Heimatort Schlins eine große Produktionshalle – so wie sein eigenes Wohnhaus selbstredend aus Lehm – gebaut. Darin stellen Rauch und seine Mitstreiter nun Stampflehmelemente her, die den Lehmbau rationalisieren helfen sollen. Zu den ersten Einsatzorten dafür zählt das Bürohaus, das Lehm-Ton-Erde gerade für sich selbst errichtet.

Die Fassade von Martin Rauchs Wohnhaus ist rund 15 Jahre nach der Errichtung noch immer in tadellosem Zustand.
Lehm und Stroh im Netz
  • Lehm-Anwendungen im Neubau und Sanieren plus Kontakte zu Fachleuten versammelt netzwerklehm.at
  • Die Arge Lehmbau der Universität für Bodenkultur ist unter lehmbau.boku.ac.at online
  • Um alles rund um das Bauen mit Strohballen geht es auf baubiologie.at – der Seite des ASBN – Austrian Straw Bale Network